Kinder brauchen Grenzen, vor allem um sich vor anderen zu schützen – von Großeltern, Nachbarn und anderen Wangenkneifern

Vor Kurzem fuhr ich mit meinem Freund und meinem Baby im Aufzug Richtung Tiefgarage. Ich hatte unser müdes Baby in der Trage eingebunden. Ein, uns unbekannter, Mann stieg zu und lächelte unsere Tochter freundlich an. Es folgte ein kleiner Austausch darüber wie alt sie ist und ach wie süß sie ist…das Übliche halt. Daraufhin fuhr der unbekannte Mann ohne Vorwarnung seine Hand aus und tätschelte unser Baby auf der Wange. Alles ging sehr schnell, denn kurz darauf war er schon wieder ausgestiegen. Ich sah meinem Freund an, dass er ebenso perplex von dem Vorfall war wie ich. Auch wenn es nur eine kurze, liebevoll gemeinte Geste war die unsere Tochter augenscheinlich nicht im Geringsten irritierte, fühlten wir beide uns sehr überrumpelt. Wie kommt eine fremde Person dazu unserem Kind ins Gesicht zu greifen? Mein Bauchgefühl sagte mir, dass das nicht in Ordnung war.
Ich ärgere mich noch immer, dass ich den Herrn nicht reflexartig zurechtgewiesen habe.

Menschen die immer zur rechten Zeit am rechten Ort die perfekten Worte finden, bewundere ich sehr. Bislang musste ich ganz alleine damit zurechtkommen, dass ich nicht sonderlich schlagfertig bin. Doch ab sofort muss auch meine Tochter damit leben. Ich möchte für sie und für mich selbst daran arbeiten. Ich wünsche mir, dass aus ihr eine selbstbewusste junge Dame wird, die ihre eigenen Grenzen kennt und wahrt.

Aus diesem Grund glaube ich, dass Kinder, entgegen der Meinung mancher pädagogischen Strömungen, sehr wohl Grenzen kennenlernen sollten und man diese auch ruhig beim Namen nennen darf. Vor allem die Grenzen anderer. Ich beobachte immer wieder Eltern die sich die Brille von der Nase reißen lassen oder deren Kinder ihnen in den Bauch treten, ohne dass daraufhin eine Konsequenz folgt. Ich spreche dabei keinesfalls von Bestrafung. Ich denke es ist wichtig einem Kind authentisch die eigenen Grenzen aufzuzeigen und es in seine Schranken zu verweisen, wenn es unbegründet eine dieser Grenzen überschreitet.

Wir leben in einer Welt in der sich Menschen nehmen was ihnen zusteht. Nun gut, dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden, oder? Mir kommt es jedoch so vor als ob sich viele dieser Menschen nehmen was sie glauben, dass ihnen zusteht. Dann sieht die Sache schon wieder etwas anders aus, nicht wahr?
Wir müssen unsere Kinder stark machen für diese Welt. Doch wie gelingt uns das bloß?
Ich denke, vor allem indem wir ihnen ein Vorbild sind. Wir sollten ihnen rückmelden, dass es vollkommen in Ordnung, ja sogar ganz großartig, ist, sich für sich selbst, für die Menschen die einem wichtig sind und für alle die dazu selbst nicht in der Lage sind, stark zu machen.

Meine zweijährige Nichte verteilt gerne Bussis an alle, aber nur wenn sie es will…verständlicherweise. Ihre Oma bekommt gerne Bussis und fordert diese auch ein. Unlängst beschloss meine Nichte, dass Oma heute kein Abschiedskuss zusteht und kommentierte dies laut und deutlich mit einem „Nein“. Oma drückte ihr daraufhin einen flüchtigen Kuss auf die Wange auf und kassierte von ihr einen kräftigen Tritt in den Bauch. Ich fand das großartig. Nicht dass meine Nichte ihre Oma tritt, sondern warum sie es tat. Noch großartiger fand ich Omas Einsicht. Auch sie fand es vollkommen in Ordnung, dass sie von einer zweijährigen in ihre Schranken verwiesen wurde.

Nach der Devise „Gleiches Recht für alle“, bin ich dafür, dass jeder Mensch ob groß oder klein, dick oder dünn, alt oder jung seine Grenzen gegenüber seinen Mitmenschen absteckt und mit Händen und Füssen verteidigt.
Für meine Tochter wünsche ich mir, dass ich es schaffe mich für sie stark zu machen bis sie es selbst schafft. Ich werde mein Bestes geben…