Mama sein in Zeiten von Corona ist eine Herausforderung. Jeden Tag aufs Neue.

Ich lese immer wieder Kommentare von Müttern zur aktuellen Lebenssituation mit Corona. Viele Beschreiben ihre Zeit in der Quarantäne als besonders bereichernd. Einige betonen auch, dass es für sie selbstverständlich und quasi nicht der Rede wert sei, dass sie sich nun rund um die Uhr um ihren Nachwuchs kümmern. Ich höre Stimmen, die die neu gewonnene Zeit im Homeoffice gemeinsam mit ihrer Familie sehr schätzen. Für einige Mütter führt das unfreiwillige Reduzieren von Terminen und Erledigungen außer Haus letztendlich  anscheinend zu großer Entlastung. Andere Mütter fühlen sich gerade so gar nicht wohl, wollen ihr altes Leben zurück und wünschen sich Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kinder. Das Lesen der Beiträge von Müttern die ganz anders über die Krise denken, führt vielerorts zu Diskussionen und Mom-Bashing.
Mama sein in Zeiten von Corona, fühlt sich für jede Mutter nun mal anders an. Das war schon vor Corona so. Doch durch Corona werden nun viele Themen wieder lauter.

Mum-bashing ist allgegenwärtig

Beim Lesen all dieser Kommentare spüre ich mein zustimmendes Nicken und doch fühle ich mich unwohl. Gemischte Gefühle, wie Wut, Unverständnis und Betroffenheit steigen in mir auf. Mir fehlt das gegenseitige Verständnis und ich frage mich was eigentlich aus Anti-mum-bashing-Aktionen geworden ist. 
Ich war noch nie eine freiwillige Stay at home mum und bin es auch jetzt nicht. Ja, auch ich genieße es sehr, dass wir nun mehr Zeit füreinander haben und dadurch viel Muße bei uns eingezogen ist. Doch auch vor Corona, hatten wir, trotz getrenntem Vormittag ganz wunderbar viel Qualitytime am Nachmittag und am Wochenende. 
Was mir unglaublich fehlt sind unsere Sozialkontakte und meine Energie konzentriert meiner Arbeit nachzugehen. Wir hören unsere Freunde aktuell bestimmt häufiger als noch vor Corona, aber es fühlt sich einfach ganz anders an. Mir fehlt der direkte Kontakt und, auch wenn unsere Tochter überglücklich darüber scheint, dass Mama und Papa derzeit so viel Zeit für sie haben, bin ich überzeugt davon, dass ihr der direkte Kontakt zu anderen Menschen ebenfalls gut tun würde. 
Mir fehlt die Zeit alleine. Auch wenn ich in diesen zwei bis drei Stunden pro Tag zwar in der Regel auch gearbeitet oder mich um den Haushalt gekümmert habe, ich hatte dabei Muße. Konzentriert und fokussiert zu agieren gelingt mir neben der Dauerbeschallung meines kleinen Bedürfnisbündels einfach nicht. Also arbeite ich abends und am Wochenende.

Ich finde es wunderbar, dass andere Mütter anscheinend gerade die Chance in Corona sehen und so viel Positives für ihre Familie und sich ziehen können. Aber ich ärgere mich ganz gewaltig darüber, wenn diese Mütter von sich auf andere schließen und aufgrund dessen, anderen Müttern ein schlechtes Gewissen einreden.

Wo bleibt das ach so hoch gepriesene Gemeinschaftsgefühl

Ich denke, bei den Diskussionen über Kinderbetreuung vergessen die meisten, dass wir alle verschieden sind. Nicht nur unser aller Persönlichkeit, sondern auch unser aller Lebensstil. Hinter jeder Mama steht ein Wertesystem aus dem Überzeugungen und Meinungen resultieren. Dieses Wertesystem entsteht durch Erfahrungen in der eigenen Kindheit und verändert sich durch Erlebnisse im späteren Leben. Wie wir den Lockdown unter Corona aktuell empfinden, gründet nicht nur auf unseren Bestrebungen und Überzeugungen, sondern auch darauf, wie unser Leben vor Corona ausgesehen hat. 

Mir war es immer wichtig, dass ich viel Zeit mit meiner Tochter verbringe. Ich habe mich aber auch bewusst dafür eingesetzt, dass wir alle immer wieder Zeit getrennt voneinander verbringen, bzw. mein Freund und ich Qualitytime ohne Kind mit einander genießen. Um dies zu erreichen, habe ich, auch schon in der Zeit vor Corona, bewusst berufliche und persönliche Abstriche gemacht, mir viele Gedanken darüber gemacht wie oft wir was mit wem unternehmen und auch einige Kämpfe mit meinem Gewissen ausgetragen.

Vergleiche schwächen und verunsichern

Was ich damit sagen möchte ist, dass nicht jede Mama dieselben Chancen, Erfahrungen und Möglichkeiten hat oder hatte. Aus diesem Grund ist jegliche Diskussion darüber wie wir nun unser Leben mit Corona gestalten, für mich persönlich überflüssig. 
Ja, auch ich spreche mit meinen befreundeten Müttern über ihre Herangehensweisen, Überlegungen und weiteren Plänen. Ich würde mir aber niemals anmaßen, diese zu hinterfragen. In meinem Kopf ja, doch meine Gedanken verlassen nicht einfach ungefragt meinen Mund.

Da ist die Mutter die als Krankenschwester arbeitet und von heute auf morgen ihre Kinder kaum noch sieht. Sie überlegt nicht ob sie alle irgendwann Corona bekommen, sie überlegt sich höchstens wann es so weit sein wird und wie viel Zeit ihnen bleibt um sich so gut wie möglich auf Tag X vorzubereiten.
Da ist die Mutter die vor dem Lockdown rund um die Uhr gearbeitet hat. Sie hat nie hinterfragt ob es gut oder schlecht für ihr Kind ist, wenn es fünf Tage die Woche im Kindergarten ist. Corona ist für sie ein Ausflug in eine neue Welt, weil sie plötzlich nicht mehr arbeiten kann und nun rund um die Uhr mit ihrem Kind beisammen ist.
Da ist die Kindergärtnerin, die ihre Kinder in Betreuung gibt, damit sie die Kinder anderer Mütter betreuen kann. Schon immer und auch jetzt.

Bei keiner dieser Mütter wissen wir, wie es ihr tatsächlich geht und trotzdem urteilen wir. Unser Urteil ist, je nachdem wie wir leben, denken und fühlen, mitfühlend oder verachtend.
Ich finde das nicht richtig. Nein, ich gehe sogar so weit, dass ich dieses Verhalten zutiefst verabscheue. Und doch ertappe ich mich selbst dabei, wie ich mein Urteil über andere Mütter gedanklich fälle.
Ich komme immer wieder zu der Erkenntnis, über die Entscheidungen, Einstellungen und Meinungen anderer zu urteilen, ohne deren Beweggründe zu kennen, ist absolut menschlich. Ob dieses Urteil gedanklich gefällt wird oder in Folge auch noch ungefragt veröffentlicht wird, macht für mich jedoch einen gewaltigen Unterschied.

Ich habe das Gefühl, dass wir durch Corona einen Rückschritt hinsichtlich einiger gesellschaftlicher Entwicklungen, wie „Gleichberechtigung“ oder „Kindergarten als Bildungsinstitution“ machen. Und auch vor Mom-bashing macht Corona anscheinend leider nicht Halt. Oder sind es doch wir, die einander, durch vorschnelles Urteilen, diskreditieren und schwächen?