Ich war gerade schwanger mit Nr. 2, da begann mein Sohn seine Leidenschaft für Kirchenglocken zu entwickeln. Kein Scherz, er hörte jede Glocke im Umkreis von zehn Kilometern und schleifte mich in jede Kirche, um dort heimlich die Messglöckchen zu läuten. Irgendwann schafften wir einen Bildband an, erstellt von Europas einzigem Glockensachverständigen. Mittags mussten wir den Radio um 11:58 Uhr einschalten, denn jeden Tag gibt es da eine Mittagsglocke aus irgendwo in Österreich zu hören. Egal, wo wir waren, ob auf einer Autobahnraststation oder beim Ausgang vom Zoo, er fand überall kleine Glöckchen, die es zu erstehen galt. Irgendwann zählte er 20 Glocken zu seinem stolzen Besitz, alle Verwandten und Bekannten beschenkten ihn mit kleinen Souvenirs. Zum vierten Geburtstag baute sein Onkel einen Glockenturm fürs Zimmer, mit einer drei Kilo schweren echten bronzenen Glocke, die wir gebraucht und nicht ganz billig erstanden haben. Mein Sohn ist ausgeflippt, so glücklich war er.

Ist mein Kind ein Nerd?

Jedenfalls, so ein spezielles Hobby begeistert nicht jeden, schon gar nicht Gleichaltrige. Aber, ich sage euch, es ist ein Talent. Mittlerweile haben wir mehrmals die Pummerin besucht, machten Führungen zur Glockenstube des Linzer-Doms und bestiegen den Stadtturm von Enns. Mein Sohn kann nicht lesen, aber er kann dir erzählen wie die Glocken des Doms von Münster heißen UND er kann sie optisch erkennen, weil er den Aufbau der Glockenstühle Europas intus hat. Ich bin da längst ausgestiegen, aber er unterscheidet an winzigen Kleinigkeiten. Wir haben ihn dazu getestet und ihm verschiedene Fotos mit unterschiedlichen Ansichten gezeigt (Google, sei Dank!) – jetzt ist es amtlich, er ist ein Glocken-Nerd.

Vom Interesse zur Leidenschaft

Wir wollten ihm andere Themen schmackhaft machen, aber er hat sich sein Hobby mittlerweile drei Jahre bewahrt. Was soll’s, musikalisch sind wir alle nicht und auch nicht athletisch, Kirchturmtechniker scheint auch ein solider Beruf zu sein, falls er seinen Wunsch beibehält.

Als ich erfuhr, dass der mittlerweile 16 jährige Sohn einer Bekannten, alle internationalen Flugpläne täglich beherrscht und fünf Kilometer radelt um einen seltenen Flieger zu sehen, hat mich das beruhigt. Sie meinte, es fing mit sechs Jahren an. Heute fragen die Eltern den Sohn, welche Flugverbindungen günstig sind und nach dem kürzestem Weg, wenn sie weg wollen. Hat ja auch etwas Gutes. Auch sie versuchten ihn auf andere Themen zu bringen, aber der Bursche blieb standhaft. Nächster Stopp – Pilotenausbildung, der Sohn hat auch schon gespart. Bin ich froh, der kann uns sicher weiterhelfen, denn mein Sohn will demnächst nach Pisa, am schiefen Turm gibt es sieben Glocken die wir unbedingt sehen müssen.