Unlängst habe ich einen Facebookbeitrag gelesen, indem sich eine Dame echauffierte, dass sie immer wieder Kinder bei ihrer morgendlichen Fahrt in die Arbeit beobachtet, die in der S-Bahn mit ihren Strassenschuhen auf den Sitzen springen. Sie tue sich schwer, dabei ruhig zu bleiben und ihre Zurechtweisung für sich zu behalten.
Ich habe mich, ehrlich gesagt, wieder erkannt. Ich kann es zum Beispiel gar nicht leiden wenn ich Kinder dabei beobachte wie sie auf Büchern herum trampeln. Ich finde, wenn ein Kind genug Alternativen zum klettern und springen hat, muss es dieses Bedürfnis nicht auf einem Buch ausleben. Bücher sind zum lesen, vorlesen oder anschauen gedacht. Seit ich denken kann, wurde mir von meinen Eltern der wertschätzende Umgang mit allem und jedem beigebracht und ich lebe noch heute danach.

In meiner Kindheit dachte ich, wie dies vermutlich alle Kinder in irgendeiner Form denken, alle Menschen sehen die Welt ganz genau wie ich. Erst nach und nach machte ich die Erfahrung, dass dem nicht so ist. In meiner Pubertät und in den Jahren darauf, erkannte ich, dass es sogar einige Menschen gibt die anders denken und in Folge auch anders handeln als ich. Diese Menschen zählte ich in der Regel zu den anderen, meine Freunde waren mir immer recht ähnlich…nicht in jeglicher, aber doch in vielerlei Hinsicht. Erst seit der Geburt meiner Tochter erkenne ich, dass sogar meine engsten Freunde in manchen Situationen ganz anders agieren als ich…vermutlich weil sie ganz anderer Meinung sind, ihnen dies und jenes nicht so wichtig oder besonders wichtig erscheint. Durch den Umgang mit unseren Kindern, werden diese Unterschiede erst so richtig deutlich. In der Art wie wir mit unseren Kindern umgehen, was wir ihnen beibringen und wie wir sie begleiten, zeigen sich unsere unterschiedlichen Herangehensweisen und die dahinter liegenden Einstellungen.

Ich finde das vollkommen in Ordnung. Viel mehr noch bin ich der Meinung, dass diese markanten Unterschiede sehr spannend, abwechslungsreich und auch bereichernd seien können. Jeder Mensch ist eben anders. Es ist schön, wenn unsere Kinder dies von Anfang an kennenlernen dürfen. Ich denke es macht sie stark und offen für die Welt.
Für uns Erwachsene ist es oftmals eine Herausforderung. „Nein, ich möchte nicht, dass du auf unseren Wandverbau kletterst. Ja, ich weiß, dass das dein Cousin darf. Ich möchte trotzdem nicht, dass du es machst.“ Sich dabei selbst treu zu bleiben und seine Überzeugungen auch gegenüber den Kindern durchzusetzen, kostet grundsätzlich schon viel Kraft. Hat das eigene Kind dann auch noch ein konträres Vorbild vor Augen, kann dies leicht eine Diskussion entfachen. Ist das anstrengend? Auf jeden Fall! Ist es unnötig? Ich denke nicht. Denn dadurch sind auch wir ständig gefragt zu reflektieren woher unsere Überzeugungen kommen und ob die Verteidigung dieser überhaupt noch haltbar und sinnvoll sind.

Doch eine Sache beschäftigt mich mehr als mir lieb ist. Wo bleibt die Wertschätzung? Wo bleibt die Achtung und Fürsorge gegenüber den Dingen und Lebewesen in unserem Leben?
Kinder sind große Forscher. Bei ihren Entdeckungstouren kommt es auch immer wieder zu Kollateralschäden. Verwüstete Wohnzimmer und Spielzeug das sich bis unter die Decke stapelt ist dabei keine Seltenheit. Ich denke, das muss auch so sein. Ein Künstler wird auch nicht während er ein Bild malt, schon die Farben wegräumen und den Boden schrubben.
Aber ist Unordnung auch gleichzusetzen mit Verwüstung? Müssen beim forschen und entdecken Gläser zu Bruch gehen und Bücher zerrissen werden? Ich denke nicht.
Ich arbeite nun schon seit rund 15 Jahren mit Kindern. Dabei hatte ich nie das Gefühl mitten im Chaos zu stehen. Seit ich gemeinsam mit meiner Tochter private Playdates besuche, habe ich leider immer wieder das Gefühl. Klar, sie ist mit ihren eineinhalb Jahren genau im Ausräumalter, die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Treffen mit Gleichaltrigen binnen kürzester Zeit Chaos herrscht, ist dabei natürlich sehr hoch. Doch muss ich, wenn ich Freunde mit Kindern zum Spielen einlade damit rechnen, dass dabei unser Inventar zu Schaden kommt? Muss ich meine Wohnung „besuchskindersicher“ machen?

Ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder hinter unseren Gastkindern herräume. Grundsätzlich mein Problem, ich halte Spielzeugchaos halt einfach nicht so gut aus. Doch leider werde ich oftmals darin bestätigt, alles zusammenhalten zu wollen, weil ich sehe wie Bälle quer durchs Wohnzimmer fliegen, Bücher aus dem Regal gerissen werden und auf Sesseln gesprungen wird.
Vielleicht haben wir auch einfach eine sehr ruhige und achtsame Tochter, überlege ich mir dann.
Wenn ich mit meinem Freund darüber rede, meint er, Kinder sind halt einfach so und wir hätten vielleicht einfach Glück, dass unsere Tochter nicht so „wild“ ist. Ist es so, dass Kinder einfach von Natur aus ungestüm sind oder kommt das Verhalten mancher Kinder vielleicht doch daher, dass sie ihre Eltern dabei beobachten wie sie auf ihr Verhalten reagieren oder eben nicht reagieren. Ich bin mir da noch immer nicht ganz sicher.
Aber eins weiß ich, mir fehlt die Wertschätzung! Und wenn ich so darüber nachdenke wird mir klar, ich glaube, nicht nur Kindern fehlt es an Wertschätzung.
Wir leben in einer Welt, in der wir kaputtes wegwerfen und einfach etwas Neues kaufen. Wir leben in einer Welt, in der wir sehr unbedarft und mancherorts sogar ignorant mit unserer Umwelt umgehen. Wir leben in einer Welt, in der manche Menschenleben weniger wert sind als andere, nur weil sie einer anderen Kultur entstammen oder weil sie besonders jung oder alt sind.

Ist es zu weit gegriffen wenn ich glaube, dass Wertschätzung bei den Seiten eines Buches beginnt und bei einem Menschenleben endet? Gut, ich sehe ein, dass das wahrscheinlich zu theatralisch ist, aber wo beginnt Wertschätzung und wo endet sie?

Ich wünsche mir auf jeden Fall für meine Tochter, dass sie den Wert der Dinge und Wesen in ihrem Leben kennen und schätzen lernt. Ich glaube, dass ein Kind, dass ein Gefühl für Achtsamkeit entwickelt, nicht nur sorgsam und liebevoll mit seinem eigenen Hab und Gut umgeht, sondern in Folge auch sorgsam und liebevoll mit den Dingen anderer umgeht. Ich glaube, dass ein Kind, das ein Gefühl für Wertschätzung entwickelt, nicht nur den Wert anderer Menschen in seinem Leben erkennen und sich dementsprechend gegenüber diesen verhalten wird, es wird auch seinen eigenen Wert erkennen. Und wer seinen eigenen Wert kennt, wird auch immer gut auf sich selbst achten.
Ich wünsche mir, dass meine Tochter alles und jeden in ihrem Leben, einschließlich sich selbst, so behandelt wie sie ihre Bücher behandelt…wertschätzend, respektvoll und sorgsam.

Das wünsche ich mir für jedes Kind, denn unsere Kinder werden erwachsen und ich denke ein wenig Wertschätzung täte uns allen gut! Was denkst du?