In einem alten Haus gibt es oft viele in die Jahre gekommene Bücher. Während ich meinen Kindern ganz unaufgeregte Bücher vorlese, geht Opa mal eben in den Keller und krammt nach Max & Moritz und Hatschi Bratschi Luftballon, den Geschichten meiner Kindheit. Grimms Struwwelpeter ist eigentlich ein wenig arg, denk ich mir noch so, aber mein Dreijähriger macht große Augen und lauscht gespannt den Worten des euphorischen Großvaters. Puh, da gabs noch Bestrafungen, strenge Eltern und vieles über den Tod in den alten Schinken! Kinder, die nicht folgen, werden in den Orient entführt – ein Wahnsinn! Ich selbst lese die nettesten Einschlafgeschichten, damit die Kinder mit positiven Vibes ins Bett gehen, und was macht der Opa? Er liest Kinderthriller vor. Also protestiere ich, das geht doch nicht! Der strenge Großvater lässt sich aber von der eigenen Tochter nicht tadeln: „Euch Kindern haben wir auch diese Geschichten vorgelesen, das hat gar nicht geschadet und ihr seid auch nicht im Irrenhaus gelandet!“ Da ist der Opa ganz alte Schule und lässt keine Widerrede zu. Mein Sohn fragte die nächsten Tage, ob früher alle Erwachsenen so streng waren. „Nicht ganz, aber ja, es gab eine Zeit, da hatten es Kinder nicht immer so fein wie heute“, antwortete ich. Ich denke daran, was alles mal zur guten Erziehung gehörte, wie die “gesunde Ohrfeige”, ans übers Knie legen, Michel Lönneberga und an Kinderarbeit. Mein Sohn schläft trotzdem ganz gut, ich musste das Gebrüder Grimm-Werk und den „Heißluftballon-Entführer“ noch etwa 128 Mal vorlesen, er lacht über die Reime und die geflügelte Sprache. Gar nicht so verkehrt, dabei erweitert er seinen Wortschatz um ein vielfaches.