Dein Baby ist nun ein Kindergartenkind. Wenn es erst einmal alles und jeden im neuen Kindergarten kennen gelernt hat, wird es sich von Tag zu Tag mehr zu Hause in der anfangs noch fremden Umgebung fühlen. Doch bis dahin kann es immer wieder bei der Verabschiedung und auch nach der Trennung von Mama oder Papa vorkommen, dass dein Kind weint.

Um herzzerreißende Szenen an der Türschwelle zu verhindern, spielen viele Eltern mit dem Gedanken sich heimlich wegzustehlen, sobald ihr Kind spielt. Leider kann sich dies auf lange Sicht negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung und den Verlauf der Eingewöhnung im Kindergarten auswirken.

Bindung und Beziehung im Kindesalter
Der Sinn einer Tageseinrichtung ist es, dass Kinder, während ihre Eltern arbeiten gehen oder anderweitig beschäftigt sind, ihren Tag in einer für sie passenden, das bedeutet kindgerechten, Umgebung verbringen können, während sie liebevoll von Pädagogen/innen begleitet werden. Oberstes Ziel dabei sollte es sein, dass sich die Kinder wohl fühlen. Fühlen sie sich wertgeschätzt, geliebt und geachtet, gehen sie vermutlich gerne in den Kindergarten.

Beim Übergang von der Kernfamilie in die Fremdbetreuung erweitert dein Kind sein Erfahrungsspektrum und den Kreis seiner Bindungspersonen. Während Mama und Papa in den ersten Lebensjahren die vorrangigen Bezugspersonen eines Kindes sind, schließt es im Laufe seines Lebens nach und nach weitere Kontakte. Es kommen neue Bindungspersonen, wie Oma/Opa oder Tante/Onkel hinzu. Auch die Betreuungspersonen im Kindergarten können, auf Basis der Erfahrungen deines Kindes mit seiner Ursprungsfamilie, zu wichtigen Bindungspersonen werden.

Hat sich dein Kind erst einmal an eine Betreuungsperson im Kindergarten gebunden, wird es, bis auf wenige Ausnahmen, ohne Probleme vor Ort bleiben bis du es wieder abholst. Und genau das ist es was du dir vermutlich für dein Kind wünschst und brauchst um den Kindergarten zu verlassen.

Wie du deinem Kind Sicherheit geben kannst, auch wenn du nicht da bist
Du bist die sichere Basis für dein Kind. Von deinem Schoß aus kann dein Kind die Welt in aller Ruhe und Gelassenheit erkunden. Indem es dich im Hintergrund weiß, wird es das Selbstbewusstsein und die Zuversicht entwickeln um seinem natürlichen Forscherdrang zu folgen. Jedes Kind hat einen inneren Antrieb sein Nest zu verlassen und seine Neugierde für die Wunder der Welt zu stillen.
Du kannst dir diese Reise vorstellen wie eine Schifffahrt. Dein Kind ist das Schiff, du bist sein sicherer Hafen in den es einlaufen kann, wenn es einmal auf hoher See turbulent wird, ein Sturm aufkommt oder es Heimweh hat.
Die Eingewöhnung im Kindergarten stellt ein Gewässer dar auf dem dein Kind nie zuvor gesegelt ist. Es braucht Zeit und Muße sich diesem Abenteuer hinzugeben. Nur mit der Gewissheit, dass du da bist, kann es sich auf diese spannende, aufregende Reise begeben.
Indem du dich von deinem Kind verabschiedest bevor du gehst, erfährt es wo du bist, wenn du nicht da bist. Es kann dich in Folge vielleicht nicht sehen, aber es weiß, dass du trotzdem da bist und wieder kommen wirst. Anfangs wird ihm dies nicht reichen, Tränen werden vermutlich trotzdem fließen. Erst durch die Erfahrung, dass du es immer wieder verlässlich abholen kommst, wird auch der Abschied leichter und die Tränen weniger.

Was aber passiert wenn du dich nicht verabschiedest?
Wenn du dich heimlich hinaus schleichst während dein Kind gerade abgelenkt ist, wirst du nicht sehen wie es reagiert, wenn es plötzlich merkt, dass du weg bist. Tränen, Wut oder Sorge sind in diesem Fall nicht sichtbar für dich. Für dein Kind aber schon. Denn in dem Moment in dem es deine Abwesenheit bemerkt, wird es in seiner individuellen Art zeigen wie es ihm damit geht. Die Reaktion auf das Verschwinden der bislang wichtigsten Person in ihrem Leben kann bei jedem Kind unterschiedlich ausfallen, sie ist jedoch unausweichlich. Dadurch, dass dein Kind nicht die Möglichkeit hatte dich zu verabschieden, aus deinem Mund zu hören, dass du wieder kommst um es abzuholen und zu sehen wie du gehst, nimmst du ihm die Gewissheit, dass sich all das auch wirklich so zutragen wird. Das Schifflein, dein Kind, treibt auf hoher See in unbekannten Gewässern und weiß nicht wo sein sicherer Hafen ist und ob es ihn je wieder finden wird. Was für uns Erwachsene furchtbar dramatisch und maßlos übertrieben klingen mag, ist für ein kleines Menschlein, das noch wenig Erfahrungen ohne Mama und Papa in der großen weiten Welt sammeln konnte, eine erschreckende Realität.

Warum sich diese Erfahrung negativ auf eure Beziehung auswirken kann?
Sich auf jemanden verlassen können, Ruhe und Zuversicht zu haben, dass alles Gut ist oder wird und entspannt und offen in neue noch unbekannte Welten vorzudringen, sind Erfahrungen die einen Menschen selbstbewusst, stark und glücklich machen. Wenn dein Kind wiederholt die Erfahrung macht, dass du einfach so verschwindest, wird es sich nicht mehr entspannt auf den Weg machen. Wenn du, wann immer es spielt, plötzlich verschwindest, bleibt dein Kind ratlos, ja vielleicht sogar panisch zurück. In Folge wird es sich nicht mehr trauen sich von dir abzuwenden, aus Angst du könntest wieder plötzlich weg sein. Wiederholt sich diese Situation, kann es sein, dein Kind beginnt zu klammern und dich nicht mehr aus den Augen zu lassen. Dadurch wird nicht nur die weitere Zeit der Eingewöhnung im Kindergarten erschwert, sondern auch euer Alltag zu Hause. Diese Erfahrung kann zu anhaltendem Stress und großer Verunsicherung bei einem Kind führen.

Warum Abschiedstränen immer Platz haben sollten
Es ist einfach schmerzhaft wenn eine geliebte Person weggeht. Dabei ist es vollkommen egal für wie lange. Wir Erwachsenen wissen aus Erfahrung wie lange sich 15 Minuten anfühlen, wir wissen, dass in der Regel ein Wiedersehen auf eine kurzfristige Verabschiedung folgt und wir haben gelernt unsere Emotionen zu zügeln. Für ein kleines Menschenkind, dass nur wenige Monate Leben vorzuweisen hat, ist es eine ganz neue und oftmals erschreckende Vorstellung auch nur kurz von Mama oder Papa getrennt zu sein. Dies ist vor allem der Fall wenn es dabei nicht in seiner gewohnten Umgebung ist. Echte Trauer, Unsicherheit und Verzweiflung, sind Gefühle die unbedingt ernst genommen werden sollten. Sie gehören ebenso zum Leben wie Freude, Liebe und Vergnügen. Gibt man dem Trennungsschmerz eines Kindes keinen Raum, wird dieser verschoben oder unterdrückt und taucht an anderer Stelle wieder auf. In Folge können Trennungsängste oder Schlafstörungen im Alltag Einzug halten. Auch wenn dein Kind sowieso schreit oder weint wenn du weg bist, seine/ihre Tränen sind Zeichen von Trauer wenn du dich Verabschiedest und Zeichen von Panik wenn du einfach so verschwindest.

Auch wenn es dir noch so schwer fällt dich von deinem Kind zu verabschieden, weil du damit rechnest, dass es weinen wird, gib euch beiden die Möglichkeit ehrlich zu trauern. Dein Kind darf ruhig wissen und sehen, dass dir der Abschied auch nicht leicht fällt. Mache dir bewusst, dass diese Momente nicht von Dauer sind. Früher oder später wird dein Kind Vertrauen zu den Menschen im Kindergarten gewinnen und ehe du es dich versiehst, wird es dich, wenn du es vom Kindergarten abholen willst, wieder alleine nach Hause schicken.

Wir wünschen euch viel Kraft für die nächsten Wochen!