Vor rund vier Monaten blieben von heute auf morgen die Uhren einfach stehen. Einfach? Nein, die Zeit, die wir dank Corona, zu Hause verbringen durften, war alles andere als einfach. Freud und Leid lagen noch näher beisammen, als sie es ohnehin schon im ganz normalen Chaosalltag einer Familie mit Hund und Kind, tun. 

Jetzt, gut eineinhalb Monate nach unserem erneuten Einstieg in die Gesellschaft und den Alltag als arbeitende Eltern eines Kindergartenkindes, ist der vergangene Lockdown eigentlich kaum noch spürbar. Die Geschäfte haben wieder geöffnet, Masken werden nur noch im seltensten Fall aufgesetzt und das Zeitgefühl verlieren wir, wenn überhaupt, nur noch ab und an, an den Wochenenden. 

Was von Corona geblieben ist?

Außer der Sorge um die steigenden Zahlen und die Angst vor einem erneuten Lockdown, gibt es nur wenige Lebensbereiche die nach wie vor an die Zeit der Isolation zu Hause erinnern. Klar, das Virus ist noch unter uns, wir halten auch nach wie vor brav Abstand und waschen uns regelmäßig die Hände. Doch abgesehen davon? Was ist von den psychischen Veränderungen die die weltweite Pandemie in unseren Köpfen während den laaaangen Tagen alleine mit Kind zu Hause ausgelöst hat, geblieben? Was ist von der neuen Realität als Stay-at-home- und Homeofficeparents noch übrig?

Während dem Lockdown hatten wir endlos Zeit, beinahe null soziale Verpflichtungen und zumeist auch einiges an Muße. Der aktuelle Alltag bringt, aufgrund zeitlicher Fixpunkte, wieder eine Menge Stress und dadurch oftmals auch Unruhe mit sich. 

Muss das so sein?

Ich denke nicht. Aus diesem Grund habe ich mir vorgenommen, so weit möglich, auch im Alltag abseits von Corona, mehr Gelassenheit in unsere Tage zu bringen. 
Wie mir das gelingt? Diese Frage ist nicht immer so einfach zu beantworten, bzw. die Umsetzung der Antwort auf diese Frage ist nicht immer so easy wie es vielleicht anfangs scheint. 
Der erste Schritt in Richtung Entschleuinigung ging bei mir, wie so oft, mit einer Selbstreflexion einher. Wie laufen beispielsweise unsere Morgen, welche besonderes Gefahrenpotential für Entgleisungen bergen, ab? Da unsere Tochter eher von der Sorte Morgenmuffel ist, habe ich mir die Frage gestellt, warum sie grundsätzlich eigentlich gerne aufstehen sollte? Der Kindergarten freut sie derzeit nicht sehr. Frühstücken, Zähne putzen, eincremen und anziehen stehen bei ihr ebenfalls ganz unten auf der Prioritätenliste. Lieber würde sie gerne zwei bis drei gepflegte Fläschchen Milch süffeln, danach zwei bis fünf Bücher vorgelesen bekommen, etwas spielen und Peppa Wutz schauen. Tja, wie kann man verschüttetes Öl vom Boden aufwischen, wenn man nichts außer zwei müden Händen zur Verfügung hat? So oder so ähnlich fühlte ich mich anfangs bei der Überlegung wie ich unsere täglichen To Do’s in Einklang bringen könnte. 
Nebenbemerkt haben sich meine Bedürfnisse, ich bin auch nicht gerade ein Morgenmensch, mittlerweile auf einige wenige, nämlich mein Gesicht waschen, aufs Klo gehen und meinen Kaffee trinken, reduziert. Aber zurück zu meiner philosophischen Reflexion unserer morgendlichen Gepflogenheiten, mit der besten Absicht diese für alle Beteiligten zu optimieren.

Wie könnte es anders ablaufen?

Warum sollte also dieser kleine Mensch morgens fröhlich aufspringen, wenn es rein gar nichts gibt wofür es sich aufzustehen lohnt? Tja, und da kam mir der Gedanke, unsere absoluten Grundbedürfnisse nach einem Milchfläschen und einer Tasse Kaffee zu aller erst zu stillen, eventuell ein Auge zuzudrücken und noch je eine Badewanne voll Milch, bzw. Kaffee nachzutanken, um dann erst einmal gemütlich ein Buch auf dem Sofa zu lesen. Dabei sei erwähnt, dass dieses Experiment selbstverständlich nur an jenen Tagen durchgeführt werden kann, an denen ich keinen beruflichen Fixtermin vor 9.30 habe, denn vor allem anfangs ist das Ergebnis noch ungewiss. Mir ist klar, dass nicht jeder diese Freiheit hat.

Auf jeden Fall trägt der Versuch bisher Wurzeln und ja, teilweise sogar einen Haufen üppige Früchte. Denn, siehe da, mit Aussicht auf einen entspannten und gemütlichen Morgen auf der Couch stehen wir beide plötzlich viel lieber auf. Und indem wir von Diskussionen auf kooperative Gestaltung gewechselt haben, sind Eskalationen eher zur Ausnahme geworden. Unterm Strich sind wir dadurch nicht viel später im Kindergarten als sonst. Mit dem großen Unterschied, dass wir den Weg dorthin viel mehr genießen und zumeist gute Laune mit im Gepäck haben.

Was ist passiert?

Ich habe mir unsere nie enden wollenden Vormittage in der Zeit von Corona, bzw. der Zeit des Lockdowns noch einmal in Erinnerung gerufen. In Hinblick auf einen langen, langen Tag, kam mir der Müßiggang meiner Tochter damals oft gelegen. Dadurch, dass sie ihren Morgen aktiv mitgestalten konnte, kam es seltener zu Wutanfällen und Diskussionen und letztendlich waren wir meist genauso schnell wie an anderen Tagen, jedoch viel entspannter.

Warum nicht gleich so?

Zum einen fehlte mir bestimmt die Erfahrung, zu der ich, durch unsere gemeinsame Zeit zu Hause, quasi gezwungen wurde. Zum anderen schwingen immer wieder Moralvorstellungen und Glaubenssätze aus der Kindheit in unser aller Köpfe im Alltag mit. „Erst die Arbeit dann das Vergnügen“, ist ein Klassiker unter den Glaubenssätzen der Vergangenheit, der mich davon abhielt das Buch lesen der täglichen Morgenroutine vor zu ziehen. „Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages“. Auch so eine grandiose Lebensweisheit, die vermutlich noch von der Zeit stammt, wo wir alle nach dem Frühstück auf die Jagd oder aufs Feld gingen um dort stundenlang harte Arbeit, ganz ohne Verpflegung, zu verrichten. Heutzutage scheinen wir, vor allem aber unsere Kinder, ständig zu essen, bzw. zumindest ununterbrochen Essen zu unserer freien Verfügung zu haben. Wenn ich meine Tochter in den Kindergarten bringe, erwartet sie bereits ein reichhaltiges zweites Frühstück. Warum kann das nicht ihr erstes des Tages sein, wenn sie davor noch keinen Hunger hatte?
All diese Glaubenssätze und Lebensweisheiten schweben, manchmal vollkommen unbewusst, über uns und machen uns das Leben schwer. Durch einen offenen und mutigen Blick in diese Richtung, können wir viele davon hinterfragen und einige sogar auflösen.

Mir ist klar, dass nicht jede/r das Glück hat, sich seine Arbeitszeit frei einzuteilen. Ich denke jedoch, dass Corona einigen die Möglichkeit eröffnet hat, eine andere, neue Welt des Zusammenlebens mit Kindern, kennen zu lernen. Eine Welt in der mehr Muße möglich ist und ein entspannter Alltag mit Kind nicht länger eine Illusion ist.

Ich wünsche uns allen, dass wir, früher oder später, neben den vielen negativ besetzten Erlebnissen der weltweiten Pandemie, auch das Schöne, Gute und Positive für unser Leben, aus Corona ziehen können.