Das Konzept der „neuen Autorität“ beschreibt eine Form der Begleitung von Kindern und Jugendlichen abseits der bisherigen Erziehungskonzepte.

Der Psychologe Haim Omer entwickelte diesen systemischen Ansatz mit dem Ziel der Potentialentfaltung von Kindern und Jugendlichen. Er orientiert sich dabei an der Bindungstheorie von Ainsworth (1991) und Bolby (1982), sowie dem autoritative Erziehungsstil nach Baumrind (1966). Ursprünglich für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit aggressiven und selbstzerstörerischen Verhaltensauffälligkeiten entwickelt, bietet die „neue Autorität“ nun auch Interventionen für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen abseits des klinischen Kontext.

Die Rolle der Eltern

Die Eltern spielen in der „neuen Autorität“ eine tragende Rolle. Durch Präsenz, Selbstkontrolle und -reflexion übernehmen sie Verantwortung für sich selbst und somit auch für ihre Kinder. Durch die Schaffung eines sozialen Netzwerkes legen sie für ihre Kinder die Basis für Unterstützung in und ausserhalb der Familie. Durch die fortlaufende Reflexion der eigenen Erfahrungswelt, sowie des individuellen Handlungsspielraums, werden Eltern in ihre Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit gebracht. Die Entwicklung des Konzepts zur „neuen Autorität“ gründet auf der Erfahrung in der Arbeit mit Familien die durch aggressives Verhalten auf Seiten der Kinder und Hilflosigkeit auf der Seite der Eltern charakterisiert ist. Die Kinder übernehmen, in einer Familiensituation wie dieser, oftmals die Kontrolle, wodurch die Machtlosigkeit der Eltern steigt.

Das Prinzip des Ankers

Omar erweitert die Bindungstheorie um eine Ankerfunktion. Die Eckpunkte dieser werden durch Struktur, Präsenz, Selbstkontrolle und soziale Unterstützung durch die Eltern vorgegeben. Die sichere Bindung bietet die Basis für eine gesunde Autonomieentwicklung eines Kindes. Die Eltern sind dafür verantwortlich ihrem Kind Schutz und Sicherheit zu vermitteln, um eine sichere Basis zu schaffen. Durch das setzen eines Ankers, bestehend aus den oben genannten Punkten, kann sich eine positive elterliche Autorität etablieren.

Struktur

Gelingt es Eltern für ihr Zusammenleben als Familie eine Struktur zu schaffen, die nicht rigide, sondern im fortlaufenden Austausch miteinander gelebt wird, geben sie ihrem Kind dadurch Halt und Stabilität. Die hohe Kunst ist es einem Kind das Gefühl von Selbstbestimmung zu geben und gelichzeitig nicht nachgiebig und inkonsequent zu handeln.

Präsenz

Die physische und mentale Anwesenheit der Eltern im Leben ihrer Kinder, ist entscheidend für die Entwicklung einer gesunden und bindungsorientierten Beziehung und Begleitung. Omar (2015) beschreibt in diesem Zusammenhang den Aspekt der wachsamen Sorge.

Selbstkontrolle

Beziehungen zwischen Eltern und Kind sind oftmals durch (bewusst oder unbewusst) den Wunsch nach gegenseitiger Kontrolle geprägt. Bei der „neuen Autorität“ wird die Selbstkontrolle der Eltern zu einem zentralen Faktor. Techniken der Deeskalation, Verzögerung und Vermeidung von Eskalation, sowie die Schulung des besseren Verständnisses vom Verhalten, Fühlen und Denken anderer Menschen, wirken dabei unterstützen.

Netzwerk

Die zunehmende Isolierung von Kernfamilien hat Auswirkungen auf deren Ressourcen. Die Verabschiedung der Großfamilie, endet für viele mit dem Gefühl von Überforderung und Resignation. Der Aufbau eines sozialen Auffangnetzes kann sich nachhaltig positiv auf die Erziehungsfähigkeit der Eltern auswirken.

Die wissenschaftliche Wirksamkeit der „neuen Autorität“ wurde bestätigt. Vor allem durch die Begleitung der Eltern in Form von Beratung und Coaching zeigen positive Auswirkungen auf das gesamte Familiensystem. Im Unterschied zu anderen therapeutischen Interventionen, ist das Gelingen dieser Form der Begleitung nicht von der Teilnahme der Kinder und Jugendlichen abhängig, was deren Umsetzbarkeit erheblich erleichtert.